Manfred Spitzer – The Moralapostel strikes back

Er hat es wieder getan: Manfred Spitzer (neben Dietmar Pfeiffer, Werner Glogauer, Helmut Lukesch und Co. wohl der derzeit populärste der weltfremden Neo-Luditen im Sinne eines Neil Postman und in bester Hexenjägertradition) frönt seinem Profilierungsdrang als attention-whore und erklärt (seine) Meinungen zu Faktenwissen, passend zur aktuellen Kippung realitätsferner Verbotsambitionen auf politischer Ebene. Und wie nicht anders zu erwarten war, ist Spitzers unqualifizierte Hetze auch jetzt wieder ein Schlag in das Gesicht eines jeden rational denkenden Menschen! Zu finden ist sein neuestes Pamphlet hier: Klick mich!

Der Tenor Spitzers Meinung steht im dritten Satz bereits fest und mag danach nicht mehr weichen: „Wer im Spiel das Töten übt, greift auch im echten Leben eher zur Gewalt.“ Spitzer heuchelt kurz darauf einleitend Überraschung darüber, dass seine Hasstiraden Medienkritik anscheinend breitflächig wahrgenommen wurde, nutzt diesen Ansatz aber dahingehend für eine Selbstprofilierung, da sein letztes Machwerk offenbar in diversen Bestsellerlisten auftauchte (so wie ich Herrn Spitzer jedoch kenne, ist ihm nicht klar, dass dies nicht unbedingt die Qualität seines Schunds bezeugt). Überraschend dürfte das kaum sein, als “prominente(r) Wissenschaftler“ (nur zweifle ich persönlich stark daran, mit einem ernstzunehmenden Wissenschaftler konfrontiert zu sein) mit eigener TV-Sendereihe (Geist und Gehirn) auf BR-alpha kann man sich der Aufmerksamkeit doch gewiss sein. Vor allem wenn man sich derart in Szene setzt und selbst zum Medienereignis mutieren möchte (Neil Postman hat es vorgelebt). 

Das ihm dieser „Erfolg“ zu Kopfe steigt wird dann klar, wenn er im nächsten Satz behauptet: „Die Resonanz war nahezu ausnahmslos positiv; meine Argumente wurden ebenso verstanden wie die Tatsache, dass wir handeln müssen, um gesellschaftlichen Schaden abzuwenden.“ Da fragt man sich nur, wen er genau damit meint. Schätzungsweise diejenigen, welche von den ach so seriösen Medien selbst ununterbrochen auf eine Art Medienphobie hin getrimmt werden (auch dadurch, das oben erwähnte Herren wider besseren Wissen immer und immer wieder als „Experten“ geladen werden und eine Plattform zur Verbreitung ihrer Falsch- und Desinformation geboten bekommen), wenn es um die neuesten der sog. Neuen Medien geht, hier explizit natürlich den Konkurrenten Unterhaltungssoftware.  

Und von welchen Argumenten spricht der Mann? Es findet sich kein einziges Argument bei ihm (schon gar keines, dass einer tiefergehenden Analyse standhalten könnte, wobei schon einfachster Menschenverstand seine Behauptungen verneint), sondern lediglich Meinungsmache pur. Spitzer argumentiert nicht, er sagt „so ist es“ und versucht dies dann von jedweder Kritik u./o. Diskussion zu entrücken. Seine „Argumente“ werden nur von denjenigen verstanden, welche erstens ihren Menschenverstand zumindest auf Standby haben und zweitens sowieso seiner Meinung sind (und schon im Vorfeld waren)… und natürlich wird wohl ein grossteil der meinungsgeBILDeten Massen da draußen ihm zustimmen, denn sie wissen nicht, was sie tun (s.o.) und befreien sich somit jedweder Eigenverantwortung… Dennoch ist sich jeder sicher, irgendwie handeln zu müssen, nur wie, wogegen oder wofür genau, dass wissen sie nicht so genau. Da folgen sie lieber ihren Meinungsführern. Mir wird Angst und bange, wenn ich an die Früchte solche Fehltritte denke… 

Abgesehen von Aufbereitungen in sensationsgeilen Kreisen, die von der Schürung solch vorurteilsvoller Meinungsmache leben, konnte ich auch bislang nur alles andere als positive Resonanz auf Herr Spitzers Machwerk entdecken (und das auch nicht in geringem Maße). Wobei Resonanz aus der wissenschaftlichen Fachwelt sich eh erst immer überwinden muss, sich herab zu lassen und auf ein so unglaublich unwissenschaftliches Konstrukt, wie es Herr Spitzer hier (und öfter noch zuvor) abgeliefert hat, zu reagieren. Aber Herr Spitzer leitet ja ein, dass es durchaus „Ausnahmen“ gab, diskreditiert diese jedoch zu „selbst ernannten Experten“, welche „wissenschaftliche Studien (ignorieren) oder […] sie ohne Argumente einfach ab(lehnen)“ und teilweise auch noch (berechtigte) Kritik an der Person des Herrn Spitzer (vor allem als „Wissenschaftler“) verkünden. Genau: Wie können sie es wagen? Wie kann ich dies wagen? Offensichtlich ist sich Herr Spitzer dieser überwältigenden Ironie nicht bewusst, der er sich in seinem Glashaus aussetzt, in dem es nun recht luftig sein dürfte, bei den Brocken, mit denen er um sich schmeißt. Der Durchzug vergrößert sich gar mit dem folgenden Hinkelstein, den er von sich schleudert, wenn er den Absatz folgendermaßen abschließt: „Sie bezeichnen sich selbst als Wissenschaftler, arbeiten aber nicht wissenschaftlich.“ Später wird Spitzer einige seiner Kritiker (implizit wohl eher alle) als „Freunde des virtuellen Abschlachtens“ bezeichnen, weil sie es wagen, nicht mit seiner Meinung konform zu gehen. Einer solch pejurativen Perspektive ist nichts hinzuzufügen…  

Um diese unerhörte Impertinenz seiner Kritiker zu verdeutlichen, führt Spitzer Fakten an, die von jenen ignoriert würden: “Amerikanische Kinder und Jugendliche verbringen mehr Zeit vor dem Bildschirm als mit jeder anderen Tätigkeit (außer Schlafen). Schon manche Zweijährigen sitzen zwei Stunden täglich vor dem Bildschirm. Bis zum Ende der Highschool (nach zwölf Schuljahren) verbringt ein Durchschnittsschüler etwa 13000 Stunden in der Schule – und fast doppelt so lange vor dem Fernseher (25000 Stunden). Bis zum 18. Lebensjahr haben Kinder, die in Haushalten mit Kabelanschluss oder Videorecorder aufwachsen, etwa 32000 Morde gesehen.“ Spitzer fährt fort: „In Deutschland sieht es besser aus – aber nicht viel: Der tägliche Fernsehkonsum liegt im Vorschulalter bei etwa 70 Minuten, im Grundschulalter bei gut 90 Minuten und bei den zehn- bis 13-Jährigen bei knapp zwei Stunden. Besitzt ein Kind ein eigenes Fernsehgerät, schaut es noch länger fern. Der Anteil dieser Kinder nimmt ständig zu: Lag er 1999 bei 29 Prozent, so erreichte er 2003 schon 37 Prozent. Selbst Kindergartenkinder hocken noch bis spät in der Nacht vor der Flimmerkiste: Um 22 Uhr sind es deutschlandweit 800000, eine Stunde später noch 200000 und um Mitternacht immer noch unglaubliche 50000. In 79 Prozent aller Sendungen des deutschen Fernsehens kommt Gewalt vor – ein Wert, der noch zu Beginn der 1990er Jahre bei 48 Prozent lag.“

Nun, was gibt es dazu eigentlich zu sagen. Nein, besser gefragt: Was will Herr Spitzer damit aussagen? Um die Sinnlosigkeit dieser Zahlenpracht zu verdeutlichen mag jeder für sich zunächst ein mal alles, was im vorangegangenen Abschnitt irgendwie mit Film & Fernsehen zusammenhing mit Nahrungsaufnahme, Lesen, Notdurftverrichtung, Bungee-Jumping oder Däumchendrehen etc. ersetzen. Also etwa wie folgt: Amerikanische Kinder und Jugendliche verbringen mehr Zeit mit Däumchendrehen als mit jeder anderen Tätigkeit (außer Schlafen). Schon manche Zweijährigen verbringen zwei Stunden täglich mit Däumchendrehen. Bis zum Ende der Highschool (nach zwölf Schuljahren) verbringt ein Durchschnittsschüler etwa 13000 Stunden in der Schule – und fast doppelt so lange mit Däumchendrehen (25000 Stunden). Um es auf den Punkt zu bringen: Spitzers Statistikgebabbel hat keinen nennenswerten Aussagegehalt für sein eigenes Thema (und ist höchstens für die Sender selbst in völlig anderer Art und Weise von Belang). Um es noch eindringlicher zu verdeutlichen, empfiehlt sich ein Kommentar zum letzten Satz des Originalabsatzes, der da lautet: „Jeder fünfte Jugendliche sieht sogar täglich mindestens einen Horrorfilm.“ Dieser Satz hat abermals keinerlei Aussagegehalt. Er hat nur für denjenigen Menschenschlag auch nur ansatzweise so etwas wie eine Botschaft, der Horrorfilmen schon im Vorfeld undifferenziert (voller Vorurteile und faktisch falsch), monokausal und durch den sog. pornographischen Blick geprägt auf alles und jeden eine negative Wirkung unterstellt. So hat der ganze Abschnitt nur für denjenigen einen Sinn, dessen Meinung es ist, dass Fernsehen ohnehin in jedem Fall etwas schlechtes sei… Aber solcherart ist die Wissenschaft des Herrn Spitzers.

Wo wir dabei sind: Jener Herr scheint ja auch sog. „Leichenzählstudien“ einen gewissen Aussagegehalt anerkennen zu wollen. Ein weiterer Punkt, der ihn Disqualifiziert, wie im Folgenden klar gemacht werden soll, doch dazu verweise ich kurz an Manfred Riepes „Das Gespenst der Gewalt. Zur Geschichte der Gewaltdebatte. Ein Rückblick auf juristische und journalistische Praktiken sowie die Medienwirkung fragwürdiger Gewaltwirkungsstudien“ von 2003, zu finden hier: Klick mich! Hier geht Manfred Riepe auf eine Schlüsselstudie Jo Groebels ein, welche im Auftrag der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein Westfahlen (LfR). Die wohl bekannteste „Leichenzählstudie“ hierzulande (wenngleich nicht mehr ganz aktuell), an der exemplarisch der Aussagegehalt solcher Studien verdeutlich werden kann. Ich zitiere:

Da die Studie empirisch ist, erweckt das – übrigens bis heute unhinterfragte – Ergebnis von 70 Bildschirm-Morden den problematischen Eindruck, als wäre ein realer Zuschauer tatsächlich einem Programm-Angebot ausgesetzt, bei dem er täglich im Durchschnitt 70 Tote auch wirklich beobachten und mitzählen könne. Doch die rein statistisch ermittelte Gewalthäufigkeit von 70 Leichen pro Tag ist, wenn überhaupt, nur gültig für einen fiktiven Zuschauer, den es real nicht nur nicht gibt, sondern gar nicht geben kann. Denn dieser fiktive Zuschauer müsste täglich rund um die Uhr ohne Unterbrechung fern sehen“ (S.14)  

„Gehen wir jedoch von einer „normalen“ Fernsehsituation aus, in der jeder Zuschauer nur ein Gerät gleichzeitig beobachtet – und nicht ARD, ZDF, Sat1, RTL, Tele5 und Pro7 simultan – so reduziert sich die suggerierte Häufigkeit von 70 Bildschirm-Morden nach der Logik, die die Studie selbst vorgibt, bereits zu einem Sechstel, nämlich auf 11,6. Gehen wir ferner davon aus, daß der einzelne Zuschauer pro Tag nicht einen 24-Stunden-TVMarathon absolviert, sondern durchschnittlich ‚nur’ etwa vier Stunden fern sieht, so reduzieren sich diese 11,6 Tote noch einmal um ein Viertel auf 2,9 Morde, die ein  Zuschauer während seines täglichen Fernsehkonsums im Schnitt wahrnehmen könnte. […] Nicht minder problematisch ist die fehlende Unterscheidung zwischen fiktiven Gewaltszenen in Spielfilmen und der Darstellung von Gewaltopfern in Nachrichten und Dokumentationen. Fragwürdig ist bereits der hier verwendete Neologismus ‚Nachrichtenaggression’. […] Da der Erhebungszeitraum der Studie mit dem Jugoslawienkrieg koinzidiert, ist davon auszugehen, daß das Bild eines Toten im Konzentrationslager von Srebrenica bei der Arithmetik der ‚Leichenzählerei’ den gleichen Summeneffekt zeitigt wie der im Western nach dem Schuß umfallende Revolverheld. Nicht unterschieden wird auch, ob Obelix ein paar Römer platt macht oder Lothar Matthäus mit Kreuzbandriss vom Fußballplatz getragen wird. Unfreiwillig komisch wird die Studie nämlich, wenn die Autoren versuchen, Aggressionshandlungen in Sportsendungen quantitativ zu erfassen.“ (S.15) 

Fazit: „Die Studie erzeugt im ersten Schritt eine Art fiktiven Zusammenschnitt, eine Art Gewaltclip, um im zweiten Schritt die von ihnen selbst erzeugte irreale Wahrnehmungssituation eines Non-Stop-Gewalt-Bombardements als objektive Darstellung des Fernsehangebotes zu verklären.“ (S.16)

Nun, was bedeutet es nun, dass Herr Spitzer offenbar zu solcher „Wissenschaftlichkeit“ tendiert? Ja was nur, was nur, was nur… Aber weiter im Text, Herr Spitzer hat ja noch mehr zu sagen. Auf diese eindrucksvolle Demonstration eines statistischen Leerlaufs folgt tatsächlich folgende Aussage: „Die Gewaltwirkung, der ein Kind durch den Fernseher ausgesetzt ist, ist also schon hoch genug.“ Gewaltwirkung? Es mag ja nur mir so ergangen sein (was ich sehr wohl bezweifle), aber wo erbrachte Herr Spitzer irgendein ernstzunehmendes Argument für eine Gewaltwirkung „durch den Fernseher“? Seine Formulierung allein ist schon Gold wert: Die Gewaltwirkung, die er nicht nachgewiesen hat (da er nicht mal Ansatzweise eine gescheite Korrelation hat konstruieren können, deren Korrelationskoeffizient dank unpassender, ungenauer oder schlichtweg falscher Variablenstellung und –interpeation, ganz zu schweigen von ignorierten Drittvariablen, dann eh unbrauchbar gewesen wäre, wenn er denn doch geschafft hätte), „ist also schon hoch genug.“ Ja, unübersehbar geradezu… Man erfährt hier tatsächlich die leichte Zugänglichkeit der Argumente, welche Spitzer liefert. 

Aber nun schwenkt Spitzer zum aktuellsten Stein des Anstoßes, der Unterhaltungssoftware, welche er (soviel sei hier schon verraten), als ungleich bedrohlicher als Film & Fernsehen einstuft, denn in Spielen würde Gewalt „aktiv trainiert“: „Dies ist im Grunde ein unglaublicher Vorgang: Wohlmeinende (aber unwissende) Eltern investieren Milliarden, um unseren Nachwuchs im Töten auszubilden. Genau dies wird in den Spielen eingeübt – immer realistischer und immer grausamer.“ Was soll ich dazu noch großartig ernsthaft schreiben? Dave Grossman lässt grüßen (und es sollte ja bekannt sein, wie es um den wissenschaftlichen Gehalt dessen Aussagen bestellt ist)… Hier gibt es wahrhaftig schon ausreichend Literatur, die so einen Stumpfsinn vor langer Zeit dementiert hat. Es ist zum verzweifeln, die wahre Unglaublichkeit ist der Umstand, dass Spitzer und Gesinnungsgenossen dies tatsächlich glauben.  Aber Moment, folge ich jetzt laut Spitzer nicht „einem bekannten Schema, das mittlerweile sogar wissenschaftlich untersucht wurde: Man leugnet Fakten, diskreditiert Autoren und stellt unbegründete Behauptungen gegen wissenschaftliche Erkenntnisse.“ Oder arbeitet nicht Herr Spitzer vielmehr weiter an der zutiefst destruktiven Demontage seines transparanten Habitates?

Sowieso: Wenn Spitzer von „gesicherten Erkenntnisse(m) aus der Wissenschaft“ spricht, meint er meist seine eigenen oder andere hinreichend widerlegte Erkenntnisse, bei denen ein wissenschaftlicher Anspruch quasi nicht erfüllt wird. So behauptet Spitzer das Unterhaltungssoftware Gewalt produzieren würde und verweist auf ominöse Literatur, die dies bestätige. Kein Wort vom massiven Widerstand aus der Fachwelt gegen solche Generalisierung, wo doch dieses Phänomen, also das virtuelle/fiktionale Gewalt, nur eine von vielen Drittvariablen beim Entstehungsprozess realer Gewalt sind und erwiesenermaßen ganz eindeutig nicht DER Faktor schlechthin, weder im erschaffendem, förderndem oder auslösendem Sinn. Die Literatur hierzu ist nämlich tatsächlich bereits sehr groß und es gibt genügend Arbeiten, die zeigen, dass auch Computerspiele keine Gewalt erzeugen. Tatsächlich auch in der BRD quasi hochoffizielle (worauf gleich noch Bezug genommen wird).Das eigentlich erschreckende ist, dass Spitzer tatsächlich und allen Ernstes behauptet, eine vermeintliche Abstumpfung gegenüber realer Gewalt (was auch immer Abstumpfung denn im genauen sein soll, denn ein wirklich griffige Definition gibt es nach wie vor nicht. Ähnlich verhält es sich mit Gewalt, ein Begriff der von Individuum zu Individuum höchst unterschiedlich definiert wird. Wer setzt hier die Meßlatte fest? Ein Problem, dass sich in vielen Experimentdesigns zur Wirkungsforschung festsetzt, aber geflissentlich übersehen wird…) steige und gleichzeitig würde Gewalt in allen Lebensbereichen zunehmen. Hier wird ein typischer Zukunftspessimismus geschürt, vor allem gegen die Jugend (wie es schon archetypisch ist): Früher war alles besser und aus Holz, alles wird immer schlimmer und die Jugend von Heute ist der Untergang des Abendlandes. Während tatsächlich die Gewalt immer mehr abnimmt, wird von Herrn Spitzer fleißig weiter das Klischee des Untergangs bedient, dass bei so vielen Menschen wohl fest verankert ist. Ja, Spitzer führt tatsächlich „die Zwischenfälle in Passau, Bad Reichenhall, Meißen, Metten, Darmstadt, Brandenburg, Freising, Gersthofen, Erfurt und Coburg mit insgesamt 30 Toten und weiteren Schwerverletzten“ auf die Wirkung von Computerspielen (und Film & Fernsehen) zurück. Gern gesehen, so kann sich jeder für sich der Verantwortung entziehen, der Sündenbock wird auf dem Silbertablett präsentiert…

Aber weiter im Text: Spitzer glänzt mit umfangreicher Falschkenntnis von Fakten, denn er behauptet: „Bei der überwiegenden Mehrzahl der Computer- und Videospiele handelt es sich um Software zum Trainieren von Gewalt, zum Abgewöhnen von Tötungshemmung und zur Abstumpfung gegenüber Mitgefühl und sozialer Verantwortung.“ Prüfstatistiken, wie sie beispielweise von der USK vorliegen und die ohne größeren Aufwand einsehbar sind, ignoriert er offensichtlich. Um es klar heraus zu sagen: Der werte Herr Spitzer redet hier von gerade mal unter 5 %  aller Spiele, ungeachtet der hohen Martkanteile, die diese für sich verbuchen (und selbst bei diesen 5 % passt nach wie vor nicht die pure Behauptung/Meinung, dass  damit Gewalt trainiert, Tötungshemmungen abgewöhnt und Mitgefühl und soziale Verantwortung  abgestumpft würden). Aber hier ist ja wieder das Gewaltproblem: Was ist Gewalt und was nicht? Vielleicht gehören in Spitzers Welt Spiele in der Machart eines harmlosen Jump’n’Runs mit in die Gewaltliste, solange man als italienisch-stämmiger Klempner nur genügend Schildkröten und anderem Viehzeugs mit dem Hintern auf den Kopf hüpft…Implizites Zeugnis seiner Unkenntnis legt wohl Folgendes ab: „Verbotene Spiele wie Duke Nukem 3D zum Beispiel sollen mit detaillierten Tötungsanimationen wie dem Wegspritzen von Blut- und Hautpartikeln, Wegsprengen ganzer Körperteile usw. den Spielern Spaß bringen.“ Zum einen lässt sich sagen, dass Spitzer wohl die Entwicklung der letzten Dekade verpennt hat, zum anderen wieder der undifferenzierte Begriff des Verbotes genutzt (wie so oft bei Personen mit eingeschränktem Bildungshorizont zum Thema). Duke Nukem 3D (welches er sicherlich meinte) ist indiziert, nicht mehr und nicht weniger. Wenngleich auch die Indizierung eine Form von Verbot ist, so suggeriert der reine Begriff des Verbotes doch schon etwas anderes, dass in diesem Fall gravierender sein mag und auch bei der Leserschaft noch negativere Assoziationen fördert. Bravo Herr Spitzer!

Nach einer Sympathisierung mit dem Motivationsforscher Werner Kroeber-Riel, dessen „Feder (sich) sträubt […], den Inhalt solcher Computerspiele oder anderer Spiele wiederzugeben, die gegenwärtig Kinder und Jugendliche in den Umgang mit roher Gewalt, Hass und widerwärtiger Sexualität einführen“, also nach einer abermaligen Verdeutlichung von Spitzers pornographischen Blick auf die sog. Neuen Medien, folgt sein Dementi, dass Unterhaltungssoftware intelligenzsteigernd sei. Ein Abschnitt, der an Ignoranz kaum zu überbieten ist. Nach erneuter Predigt und unter zur Hilfenahme der Mär, dass in den meisten Spielen das Töten gelernt würde, negiert er die Förderung „sensomotorische(r) Fähigkeiten“, von „Regelkompetenz“ sowie von „Motivation und Energie“. Weiter offenbart er dem Leser sein verdrehtes Weltbild: Er verkennt den Erkenntnisgehalt einer er umfangreichsten internationalen Studiensammlungen zur Wirkungsforschung (die u.a. auch mit die relativ aufgeklärte Arbeitsgrundlage der USK oder auch der BPjM bildet – unabhängig von ihren dann dennoch gefällten Prüfentscheidungen – und in welcher mehrere Tausend Studien zum Thema analysiert wurden, also ein Großteil der bis dato erhaltenen Erkenntnisse), den quasi gesamtwissenschaftlichen Konsens zum Thema (denn ob Spitzer sich das eingestehen mag oder nicht, sein extremer Standpunkt ist tatsächlich eben nicht wissenschaftlicher Konsens)  und schlichtweg die Realität, wenn man so will. Tatsächlich spricht er von  
“methodisch sauber durchgeführter Studien“, die seinen Standpunkt untermauern würden, wobei er im Plural von „wir“ spricht und wohl gedenkt, die Stimme der Wissenschaft zu sein.  Aber Selbstüberschätzung ist was feines, zumal, wenn man kurz darauf demonstriert, wie wenig Ahnung man doch von dem hat, was man eigentlich kurz zuvor geäußert hat. Natürlich nicht ohne konspiratives Gedankengut durchscheinen zu lassen, denn jeder, der nicht seiner Meinung ist, „Wer etwas anderes behauptet, der lügt“. Tatsächlich lassen auch frühere Äußerungen und Publikationen Spitzers darauf schließen, dass er an etwas wie eine Verschwörung zum Wohle der Killerspiele zu glauben scheint, an mächtige Drahtzieher, die alles daran tun, Lügen in die Welt zu setzen. Nach seiner Logik gehört quasi jeder dazu, der nicht seiner eigenen Meinung ist, also jeder rational denkende Mensch, um es auf den Punkt zu bringen. Verdrehte Welt…

Wie verdreht Spitzers Welt wirklich ist, zeigt er einem jeden, wenn er wieder die Wirkung von Rauchen auf den menschlichen Metabolismus (also die inzwischen klar interpretierbare Wirkung einer physischen Substanz auf eine andere physische Substanz) mit der Wirkung der Medienrezeption auf den Menschen gleichstellt (später Spricht er von einer Eindeutigkeit wie bei Zuckerkonsum und Fettleibigkeit). Sicher, sicher… das Problem, dass Medieninhalte von jedem Individuum vollkommen anders interpretiert werden (da ein jeder Mensch anders sozialisiert wurde und in seiner individualbiographischen Entwicklung von anderen Faktoren tangiert wird und somit ein gleicher Inhalt auf zwei Menschen immer unterschiedlich wirkt bzw. wahrgenommen wird) bleibt hier (wie immer) außen vor.

Ohne Worte kann man Spitzer verdrehte Welt auch an seinen folgenden sechs Abschnitten/Aussagen verdeutlichen (welche nicht mehr mit der Gewaltdebatte an sich zusammenhängen, sondern nur 08/15-Diabolisierungen der Unterhaltungssoftware sind). Aber anstatt auch diese zu zerpflücken zitiere ich Spitzer zunächst in einem nur all zu passenden Einzeiler und wende dieses Zitat auf seine eigenen Konstrukte an: „Hier wird die Realität in einer Weise auf den Kopf gestellt, dass es weh tut!“ Alle Probleme von und mit Kindern und Jugendlichen sind bei Spitzer Resultat der neuen Medien. Weltfremd… einfach nur weltfremd.

Aber machen wir uns nichts vor: Herr Spitzer wird wohl bis an sein Lebensende mit einem Brett vorm Kopf umherlaufen und in einer verzerrten Realität hausen. Da kann man nur hoffen, dass er nicht noch mehr gehör bekommt und daraus Konsequenzen entstehen, denn verdient hätte er es garantiert nicht…

P.S.: Ich werde womöglich ein den kommenden Tagen die Formatierung des Textes noch ein mal ändern. Stay tuned!